Studierende des Hochschullehrgangs Inklusive Elementarpädagogik durften Ende Jänner 2025 ein ganz besonderes Theatererlebnis genießen: Simon Meusburgers und Nikolaus Habjans Figurentheater „F. Zawrel – Erbbiologisch und sozial minderwertig“
Dieses Stück über Friedrich Zawrel (1929-2015), der in den Dreißigerjahren des letzten Jahrhunderts in Wien unter schwierigsten Umständen aufwächst und schließlich in der mit seinem Puppentheater die Gräuel rund um den Anstaltsarzt Dr. Heinrich Gross und die Krankenanstalt am Spiegelgrund, in der rund 800 Euthanasiemorde an Kindern begangen wurden, wirkt bei vielen Besucher*innen lange nach: So berührend und packend, wie Nikolaus Habjan die Wiener Kinderfachabteilung des Deutschen Reiches umsetzt, geht das Thema „Spiegelgrund“ noch mehr unter die Haut: Nikolaus Habjan und Simon Meusburger brachten in ihrem grandiosen Figurentheaterstück ein Kapitel österreichischer Geschichte mit eindrucksvoller Intensität ins Bewusstsein. Die Inszenierung wurde 2012 mit dem Nestroy-Preis in der Kategorie „Beste Off-Produktion“ ausgezeichnet.
Dr. Gross stufte Zawrel in einem Gutachten als „erbbiologisch und sozial minderwertig“ ein. Zawrel geliang die Flucht. Viele Jahre später begegnete Friedrich Zawrel Dr. Gross wieder, der als mittlerweile einflussreicher Gerichtsgutachter dafür sorgte, dass der kleinkriminell gewordene Zawrel für Jahre in der Justizanstalt Stein eingesperrt wurde. Nach vielen Bemühungen Zawrels kam es 2000 zu einem Gerichtsverfahren gegen Gross, das jedoch aufgrund dessen Verhandlungsunfähigkeit eingestellt wurde. Es hieß, er sei dement und blieb daher straffrei.
Gross starb 2005, ohne jemals für seine Taten zur Rechenschaft gezogen worden zu sein. Friedrich Zawrel setzte sich bis zu seinem Tod vor rund zehn Jahren unermüdlich für die Aufarbeitung der NS-Verbrechen ein und rückte seine Geschichte in Schulen und Theatern ins Bewusstsein − u.a. in Zusammenarbeit mit Nikolaus Habjan oder auch im Rahmen von Christoph Klimkes Werk „Spiegelgrund“, das 2005 am Wiener Volkstheater uraufgeführt wurde.
„Ich habe überlebt, um zu erzählen, was geschehen ist, damit es nie wieder vergessen wird“, so Friedrich Zarwel, Träger des Goldenen Ehrenzeichens für Verdienste um die Republik Österreich. Er selbst, der als Überlebender der Anstalt „Am Steinhof“ zu den bekanntesten Zeugnisgeber*innen der NS-Zeit in Österreich gehört, widerfuhr erst späte Rehabilitierung durch die Aufarbeitung seines Schicksals in Literatur, Theater und Film. Er trug maßgeblich dazu bei, das begangene Unrecht der ehemaligen Heil- und Pflegeanstalt am Spiegelgrund ans Licht zu bringen. „Ich war ein Kind und ich habe überlebt, um zu sprechen“, betonte er. Als gefragter Zeitzeuge an Schulen ließ er tausende Schüler*innen an seinen Lebenserfahrungen teilhaben und berichtete über die Greuel des NS-Regime. Eine Brücke in Meidling erinnert an ihn: Die Meidlinger Fabriksbrücke wurde im Dezember 2023 gemäß Beschluss der Stadt Wien in Friedrich-Zawrel-Brücke umbenannt, da er in Meidling seine letzten Lebensjahre verbrachte. Die Neue Mittelschule in der Hörnesgasse im dritten Wiener Gemeindebezirk wurde anlässlich ihres 130-jährigen Bestehens im Jahr 2016 in „Friedrich-Zarwel-Schule“ umgewidmet und trägt seither Zarwels Namen.
Das Werk „F. Zawrel − Erbbiologisch und sozial minderwertig“ ist ein Stück erlebbarer Geschichte; die Studierenden waren gerührt bis schockiert. Nikolaus Habjans meisterhafte Führung der Klappmaulpuppen verlieh den Figuren eine beeindruckende Lebendigkeit. Dieses Theaterstück ist mehr als eine einfache Aufführung: Es regt zur Reflexion über den langen Zeitraum des verdrängten Umgangs mit Spiegelgrund-Opfern in der Nachkriegszeit an und mahnt zu einer grundlegenden Auseinandersetzung mit dieser dunklen Epoche der Geschichte. Darüber hinaus unterstreicht es die unabdingbare Notwendigkeit, aus der Vergangenheit zu lernen.
Friedrich Zawrels Botschaft bleibt besonders in der heutigen Zeit relevant, in der rechtsextreme Tendenzen wieder zunehmen. Das Stück zeigt eindrucksvoll, wie Geschichte aufgearbeitet werden kann. Es thematisiert den abwertenden bis tödlichen Umgang mit Minderheiten in der Gesellschaft und stellt zugleich Fragen nach der Verantwortung und Ethik in der Medizin. Damit leistet es einen wichtigen Beitrag zur Sensibilisierung und Bildung, indem es einen kritischen Blick auf aktuelle gesellschaftliche Herausforderungen wirft. Es drängt auf eine tiefgreifende Auseinandersetzung mit der moralischen Verantwortung dafür und erinnert uns, wachsam zu bleiben und für Menschenrechte und Würde einzustehen. Friedrich Zawrel, der bis kurz vor seinem Tod im Alter von 90 Jahren seine Stimme beharrlich jenen Kindern schenkte, die am Spiegelgrund ermordet wurden, bleibt nicht nur als Überlebender der Vergangenheit, sondern auch als Mahner für die Zukunft in Erinnerung. Seine Geschichte lebt nicht nur in den Erinnerungen derjenigen weiter, die ihn gekannt haben, sondern auch auf Theaterbühnen, in Filmen und in den Schulen, in denen sein Erbe lebendig gehalten wird. Er kämpfte zeitlebens für die Wahrung der Erinnerung an die Opfer der NS-Euthanasie. „Die Erinnerung an diese Verbrechen darf niemals vergehen, auch wenn viele versuchen, sie zu verdrängen“, forderte er. Die Geschichte Zawrels reicht bis in die Gegenwart; nutzen wir die Chance zu fragen, zu lernen und zu verstehen − ganz im Sinne seines persönlichen Anliegens, "der Jugend mei' G'schicht" zu erzählen.