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Dialog des Unsagbaren: Über die Kunst, einander zu sehen

Die Lesung „Klabauterin Emily Willkomm“ mit Ines Boban und Andreas Hinz am 3.11.2025 an der Pädagogischen Hochschule Niederösterreich (PH NÖ) war weit mehr als eine Buchpräsentation – sie wurde zu einem eindringlichen Zeugnis gelebter Inklusion, Resonanz und Menschlichkeit: Zwischen Reflexion, Erzählung und stiller Poesie entstand ein Abend, der berührte und nachwirkte.

Im Mittelpunkt stand Emily Willkomm, deren Lebensweg beispielhaft für die Entwicklung inklusiver Bildung steht. Die Lesung spannte einen Bogen von den frühen Integrationsbewegungen bis in die Gegenwart – eine Zeit, in der engagierte Eltern und Pädagoginnen den Mut hatten, Gleichberechtigung einzufordern, als sie noch utopisch schien.

Sprache jenseits der Worte

Emily wurde als Kind mit einer schweren Hirnverletzung geboren und lebt ohne lautsprachliche Kommunikation. Doch gerade darin liegt die besondere Kraft ihrer Geschichte: Sie kommuniziert durch Präsenz, Gestik, Mimik und Atmosphäre: „Emily braucht nicht zu sprechen. Ihre Präsenz genügt“, so Andreas Hinz. Dieser Satz wurde zum Leitmotiv der Lesung. Ihre Geschichte steht sinnbildlich für eine Pädagogik, die auf Beziehung, Wahrnehmung und Resonanz gründet – eine Pädagogik, die Menschen nicht auf Sprache, Leistung oder Anpassung reduziert, sondern das Unsichtbare und Leise in den Mittelpunkt rückt. Boban und Hinz zeichneten Emily nicht als „Objekt von Fürsorge“, sondern als Subjekt der Beziehung, das andere berührt, verwandelt und in Bewegung bringt.

Resonanz als Schlüssel zur Beziehung

Im theoretischen Teil erläuterte Andreas Hinz die Resonanztheorie von Hartmut Rosa als Schlüssel zum Verständnis von Emilys Lebenswelt. Gerade in Emilys Leben zeigt sich dies in besonderer Weise: Sie ruft Resonanz hervor, ohne sie zu erzwingen – und macht dadurch sichtbar, was Beziehung im tiefsten Sinn bedeutet. In diesem Zusammenhang zitierten Andreas Hinz und Ines Boban Virginia Satir: „Das größte Geschenk, das ich von jemandem empfangen kann, ist, gesehen, gehört, verstanden und berührt zu werden.“

Poetik der Begegnung

Besonders eindrucksvoll wurde in der Lesung Emilys künstlerisches Wirken im inklusiven Theaterensemble „Die Klabauter“ am Hamburger Thalia Theater beschrieben.
Die Aufführungen werden zu Resonanzräumen, in denen Beziehung sichtbar und spürbar wird. Das Ensemble arbeitet mit Körper, Rhythmus und Stille – mit Ausdrucksformen, die jenseits der Sprache liegen, aber umso stärker wirken. Ines Boban und Andreas Hinz beschrieben das Theater als Ort, an dem das, was Emilys Leben verkörpert, ästhetische Gestalt annimmt: das Miteinander, das Zuhören, das gegenseitige Wahrnehmen. Die Lesung wirkte nach: Begegnung geschieht dort, wo Worte enden und Wahrnehmung beginnt.

10. November 2025