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Vom Tatort zum Erinnerungsort

Am 12. November 2024 besuchte eine Gruppe von Geschichte-Lehramtsstudierenden das oberösterreichische Schloss Hartheim, einen Lern- und Gedenkort wenige Kilometer westlich von Linz. Das Schicksal von Ida Sofia Maly (1894-1941) ist bezeichnend für viele Menschen, die – ebenso wie die österreichische Malerin – in Schloss Hartheim ermordet wurden. Dieses Anwesen war von 1940-1944 eine von sechs Tötungsanstalten der NS-Euthanasie, wo 30.000 Menschen mit Beeinträchtigungen und psychischen Erkrankungen hingerichtet wurden. 

Zunächst − zu Beginn der Tötungen – handelte es sich bei den Opfern um Bewohner*innen von Psychiatrien, um Menschen mit Behinderung in Pflegeheimen und später um arbeitsunfähige KZ-Häftlinge aus den Lagern Mauthausen, Gusen, Ravensbrück und Dachau sowie um Zwangsarbeiter*innen. Guide Gabi stellte der Gruppe das prunkvolle Renaissance-Schloss vor und brachte den Teilnehmenden die Geschichte des Hauses näher.  Anhand der Lebensgeschichte der Malerin Ida Maly, deren Biografie stellvertretend für viele andere Menschen stehen könnte, wurden die Lebensumstände und das Leid für die Teilnehmenden nachempfindbar. Malys Kunstwerke galten damals als „entartet".  Sie selbst wurde aufgrund ihrer psychischen Erkrankung in Hartheim ermordet. Unser Guide Gabi rückte auch die Täter*innen in den Mittelpunkt: Die Teilnehmer*innen erfuhren, dass in Hartheim z.B. eine Hochzeit eines Heizers und einer Pflegekraft stattfand. Nach einem Blick auf eine Landkarte von NS-Deutschland, die Aufschluss über sämtliche Standorte der Tötungsanstalten gab, besuchte die Gruppe das Café Lebenswert, das vom Institut Hartheim betrieben wird. Das Café wird sozial-integrativ betrieben und ist eine von vielen Einrichtungen, die vom Institut für Menschen mit Beeinträchtigungen verwaltet werden. Hier erlebten wir ein besonderes Miteinander, das viele berührt hat: Die gemeinsame Arbeit im Team ist geprägt vom respektvollen Umgang miteinander, wobei auch der Humor nicht fehlen darf.  Es war einfach schön, mitzuerleben, wie das Team es gemeinsam schafft, viele Menschen zu umsorgen. 

Am Nachmittag besuchte unsere Gruppe gemeinsam mit Gabi den Schlosshof. Dort befindet sich der Friedhof: Die Gedenktafeln an der Außenfassade des Schlosses wurden von unserem Guide erklärt. Anschließend wurden die Gruppe ins Innere des Schlosses geführt und betrat nach einer Informationsphase jene Räume, in denen das Leben der Opfer innerhalb weniger Stunden, nachdem sie mit Bussen im Schloss angekommen waren, ein gewaltsames Ende fand: Der Umkleideraum, die Gaskammer, der Technikraum, der Leichenraum und das Krematorium: Diese waren noch vor Kriegsende umgebaut worden, um Spuren zu verwischen. Die Leitung des Hauses täuschte vor, dass im Schloss ein Mädcheninternat untergebracht sei, als die US-amerikanischen Streitkräfte Oberösterreich erreichten. Ein Ermittlungsteam unter Major Charles Haywood Dameron sicherte 1945 das noch vorhandenes Beweismaterial, das eine wichtige Quelle zur Rekonstruktion der Ereignisse im Schloss Hartheim darstellt.

In der Ausstellung „Wert des Lebens“ wurde in Form eines Längsschnitts die Thematik Eugenik besprochen und auf aktuelle Fragestellungen hingewiesen. Immer wieder wurde auf die Macht der Sprache hingewiesen: In diesem Zusammenhang ein machtvolles Werkzeug, wodurch Menschen manipuliert und getäuscht werden.

Den Abschluss der Exkursion bildete der Besuch des Archivs, wo uns der Leiter der Dokumentationsstelle Hartheim, Peter Eigelsberger, in seinem Büro empfing. Er berichtete, dass er sich trotz der vielen Arbeit stets gern Zeit für Nachfahren von Opfern als auch Täter*innen nähme. Es gäbe Nachlässe von Menschen, die in Hartheim tätig waren; aufgrund dieser Hinterlassenschaften sei es möglich, Abläufe und Gewohnheiten im Detail zu rekonstruieren. Diese Tatsache sei laut Eigelsberger wesentlich, um jene Zusammenhänge zu erkennen, die dazu beitrugen, dass − trotz minimaler Polizeibewachung und der Platzierung inmitten eines Ortes − die Ermordung von 30.000 Menschen im Schloss Hartheim möglich war. Es sei ihm vollends bewusst, dass der Besuch des Gedenkorts vor allem für Nachkommen eine große Belastung darstellen würde. Er schätze die Exkursionen von Schulklassen im Sinne der Bewusstseinsbildung in Hinblick auf die NS-Euthanasie in der Vergangenheit; er sei besorgt wegen des derzeit herrschenden „Rechtsrucks“ unserer Gesellschaft und dessen Auswirkungen auf junge Menschen. Die Studierenden erhielten Originalquellen in Form von Postkarten und Fotografien zur Ansicht und durften diese auch mit eigenen Händen anfassen. Es war offensichtlich, dass es Eigelsberger, der selbst in Wien Lehramt Geschichte studierte, ein wesentliches Anliegen war, sich viel Zeit für die Studierenden und deren Fragen zu nehmen.  Im Archivraum präsentierte er der Gruppe Grabungsfunde wie z.B. eine Brille, Teile eines Rosenkranzes, eine Prothese sowie ein Metallstück, das vormals zu einem Ofen gehört hatte.
Es erscheint schwierig, die Gefühle der Gruppe in dieser in vielerlei Hinsicht aufgrund der ernsten Thematik als bedrückend empfundenen Umgebung in Worte zu fassen: Viele Teilnehmende zeigten eine Mischung aus Betroffenheit über die Ereignisse, gepaart mit Dankbarkeit für die Einblicke in dieses Kapitel der Geschichtsschreibung; außerdem der daraus resultierende Antrieb, achtsam mit Sprache umzugehen, das hier erworbene Wissen und die von manchen als beklemmend empfundenen Eindrücke dieser Exkursion mit anderen zu teilen und für Vielfalt innerhalb der demokratischen Gesellschaft einzutreten.  

Link zum Fotoalbum

12. November 2024 | PH NÖ