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Federleichtes Memento: Was der Engel der Seifenblasen uns in Erinnerung ruft

Am Rand der Hofburg steht die Michaelerkirche wie eine Zeitkapsel aus Stein; ihre Fassade wirkt wie eine aufgeschlagene Seite in einem Buch, das die Stadt seit Jahrhunderten liest: Ein faszinierendes Bauwerk, das verschiedene Epochen und Stile vereint. Die Michaelerkirche, deren Fundament auf römischen Mauern ruht und deren Innerstes die Reliquien des Heiligen Julius bewahrt, erzählt von der Kunst, das Ewige zwischen asymmetrischen Säulen (baulich bedingt durch römische Überreste im Untergrund) und Spuren des Unbegreiflichen zwischen Himmel und Erde aufzuspüren.

Gustav Bergmeier, Professor an der Graphischen, empfing unsere Gruppe „Kinder entdecken außerschulische Lernorte“ am Michaelerplatz und lud sie nach dem Betreten der Kirche ein, in den ersten Reihen vor dem Volksaltar Platz zu nehmen. Auch Pfarrer Pater Márton Gál begrüßte die Besucher*innen der Pädagogischen Hochschule Niederösterreich (PH NÖ). Bergmeier, selbst Fotograf, wollte wissen, welchen Eindruck die Kirche auf uns machte. Dann erzählte unser Guide Spannendes in Bezug auf die Geschichte des Gotteshauses, das 1220 erbaut wurde. Er wies darauf hin, dass in der Michaelerkirche nicht alle Säulen symmetrisch stünden; das liege nicht am mangelnden Talent der Erbauer, sondern daran, dass sich unter der Kirche römische Ruinenreste befinden, so Bergmeier.

Die Michaelerkirche als Wirkungsstätte der Barnabiten

1626 wurden Kirche und Pfarre von Ferdinand II. den Barnabiten übergeben, einem Mailänder Männerorden. Mit einer Gruppe von fünf Männern wurde die Kirche innerhalb weniger Tage nach den Vorstellungen der Barnabiten, die den Forderungen des Konzils von Trient folgten, umgestaltet. Die Bürger*innen Wiens vermissten ihre Volksheiligen, die aus der Kirche verbannt worden waren. Einen besonderen Stellenwert stellte für die Barnabiten die Verehrung der Gottesmutter Maria dar. Die Geistlichen erwirtschafteten Geld, indem sie Adeligen in der Kirche Bereiche gegen Entgelt zur Verfügung stellten. Im Laufe der Zeit verfügten die Barnabiten neben großen Besitzungen in Wien auch über weite Gebiete in Mistelbach. Mit dem Ende der Habsburgermonarchie und dem Tod des letzten Kaisers endete die Zeit der Barnabiten in der Michaelerkirche. Nach einer vorübergehenden Betreuung durch Weltgeistliche übernahmen die Salvatorianer Kirche und Pfarre. Als kleiner Orden schaffen sie sowohl ein Arrangement mit den Mächtigen in Staat und Politik als auch eine Modernisierung im Sinne des Zweiten Vatikanischen Konzils. Noch heute begleiten sie die Pfarre; Gläubige sollen den Himmel auf Erden in der Michaelerkirche erleben, erklärte Gustav Bergmeier. Danach führte Gustav Bergmeier die Seminargruppe von Margarethe Kainig-Huber in den Altarraum. Er ließ die Studierenden raten, was das rote Tuch darstelle, und erklärte ihnen, dass die Künstler Tingley und Savić durch intensives Rot Blut und Fleischlichkeit vermitteln möchten. Vor dem Hochaltar berichtete Gustav Bergmeier über die Entstehung der Evangelien. Neben den Statuen der Evangelisten betrachteten wir plastische Darstellungen des Heiligen Rochus und des Heiligen Sebastians. Gustav Bergmeier sprach auch über die Bedeutung des Heiligen Petrus und des Heiligen Paulus für die Ausbreitung des Christentums.

Von der Vergänglichkeit und der zarten Poesie der Seifenblasen

Er lenkte unsere Blicke auf einen Engel, der keine Posaune trägt und mit ausgestrecktem Arm, leicht nach vorne gebeugt, mit einer Art Kugeln dargestellt ist. Unter goldenen Ranken und patiniertem Stuck schwebt ein Engel, der inmitten des dramatischen Reliefs des Engelsturzes anscheinend zarte Seifenblasen pustet. Die schwebenden Seifenblasen glänzen nur für eine kurze Zeitspanne und zerplatzen dann lautlos, ein Versuch, das Unfassbare sichtbar zu machen; ein barockes Motiv, das die Flüchtigkeit des Augenblicks und die Vergänglichkeit (Vanitas) des eigenen Lebens in Erinnerung ruft. Dieser Engel befindet sich im Chorraum der Michaelerkirche in Wien, direkt über dem Hochaltar, eingebettet in das große Stuckrelief Engelsturz von Karl Georg Merville. Die Darstellung erstreckt sich über die gesamte Rückwand des Hochaltars und vereint Himmel und Erde. Was auf den ersten Blick wie Seifenblasen anmutet, sind in Wirklichkeit stilisierte Wolken und Lichtstrahlen, die die himmlische Sphäre symbolisieren. Unser Guide lenkte auch die Blicke auf die Kuppel oberhalb des Hochaltars und besprach mit den Studierenden die Darstellung der Dreifaltigkeit.

Altartisch als Reliquienort

Gustav Bergmeier betonte, dass der große hölzerne Volksaltartisch im Grunde nicht den traditionellen Vorschriften für einen Altartisch entsprechen würde. Zur Erklärung lüftete er den Deckel eines kleineren Steinaltartisches in einem Seitenschiff und zeigte uns, an welcher Stelle dort Reliquien eingelassen sind. Die Studierenden erfuhren, dass es verschiedene Kategorien von Reliquien gäbe. Außerdem erklärte Gustav Bergmeier den Unterschied zwischen Kirchen und Kapellen. Darüber hinaus beschrieb er, wie die Reliquien des Heiligen Julius nach Wien kamen und warum sie von der kaiserlichen Schatzkammer in die Michaelerkirche übersiedelten. Abschließend erzählte er uns vom Heiligen Julius, der still am Rand im südlichen Seitenschiff der Michaelerkirche wacht. Der Besuch des Altars des Schutzpatrons beendete die Exkursion zu diesem faszinierenden außerschulischen Lernort in Wien. Es gäbe noch vieles zu entdecken in dieser Kirche … In Stein und Licht begegnen einander zwei Botschaften: Die eine vom Leben im Moment, die andere von der Tiefe des Gedenkens. Beide erinnern daran, wie nahe das Flüchtige dem Bleibenden oft ist. Wer eintritt und den Hochaltar betrachtet, erkennt: Was vergeht, trägt oftmals das, was bleibt. Die Michaelerkirche erinnert manche an ein Gemälde, das sich nur rückwärts − von der Gegenwart aus − entschlüsseln lässt: Schicht um Schicht, Jahrhundert für Jahrhundert.

23. April 2025 | Ausbildung | PH NÖ